Zeit, Talent und Verpflichtung


 

Wäre die Zeit ein Lebewesen, hätte sie guten Grund, beleidigt darüber zu sein, wie wenig anerkennend und bewusst wir Menschen in heutiger Zeit mit ihrer Qualität umgehen. Alles hat schnell, schnell abzulaufen, zu funktionieren, ein Gewinn maximiertes Ergebnis zu zeitigen, erarbeitet, durch den Menschen, erzielt und erlitten durch den Menschen, aber…wo bleibt dabei der tätige, denkende, empfindende, sehnende Mensch? Mit den „Freunden“ Ignoranz und Überforderung sehr schnell auf der Burn-out Strecke.

Wieso das?

 

Um nicht spüren zu müssen/ zu dürfen, ob das was wir verrichten, tun, produzieren überhaupt sinnvoll ist?

Um nicht hinterfragen zu können, für wen unsere Schnelligkeit, unser tägliches Stück Entmenschlichung überhaupt Sinn ergibt?

 

Wer profitiert davon, dass wir überarbeitet, zeitbestohlen und unglücklich sind?

 

Wer wird dadurch benachteiligt, dass wir permanent beschleunigt und somit fehlerintensiver, bewusstloser und unerfüllter agieren, marschieren, justieren und, dann schließlich verlieren, was ein Menschenleben so prall, so bunt und lebenswert macht?

 

Ein guter Wein braucht Zeit um überzeugende, dionysische Qualität zu erlangen. Ein guter Käse braucht Zeit für seine Reifung, um auf das köstlichste all die feinen Aromen in neckischer Verlockung um die Papillen auf der Zunge zu legen, sie zergehen zu lassen in einem kulinarisch wohl-schmeckenden Stelldichein damit sich der volle Geschmack in Gänze entfalten kann. Eine Schokolade (hmmm…) wird ganz besonders zart-schmelzend und somit hinreißend verführerisch, wenn sie laaange verspielt in der rhythmisch schaukelnden Conche werden darf …. Sogar die Jahreszeiten kommen, erblühen und gehen unbeirrbar in ihrem eigenen Tempo. Jede Stoppuhr könnte sich getrost in ihre Einzelteile zerlegen, so sinnlos wäre der Versuch, den Jahreszeiten „Beine“ machen zu wollen.

 

Was ist mit der Natur des Menschen? Was in unserer heutigen Zeit ist noch menschengemäß? Sind wir alle weniger wert, weniger kostbar, lecker oder inhaltlich relevant als Wein, Käse, Schokolade oder die zauberhaften Wechsel der Natur?? Ich schmettere ein überzeugtes NEIN! in die Tasten: Alles was gut, wirklich gut werden soll, hat ein Anrecht auf seine eigene Spanne der Entwicklung. Denn Zeit ist nicht irgendeine Maßeinheit für Ereignis, Strecke, Dauer oder Leistung. Sie ist das wertvollste, was Du, was jeder von uns hat: Sie ist Deine, meine, persönliche Währung, die kostbarste Leihgabe eines jeden Menschen.

 

Und? Was fängst Du mit ihr an? Was willst Du aus ihr gestalten? Was soll sichtbar werden, hervortreten aus diesem ungeformten, Wasserfall ähnlichen Strom, der die noch gestaltlosen Elemente all Deiner Begabungen und Fähigkeiten, Deines erlernten Könnens + Wissens in sich trägt? Ein Ereignisstrom der Zeugnis ablegt darüber, wie Du die Welt siehst, fühlst, bewertest, was Du ausklammerst, verneinst, bekämpfst und auch aus ihr schöpfst. Wie sehr befreundet bist Du mit Deinem Schöpfergeist? Kennt ihr Euch? Gut, ein bisschen oder so lá-lá?

 

Alles was Dich ausmacht, wird zu Deinem unverwechselbaren Fingerabdruck, zu einem unübersehbaren Fußabdruck, der Spuren hinterlässt um…? Zu schwächen oder zu stärken? Zu imitieren oder neu zu erschaffen? Die sichere Kugel zu schieben oder zu riskieren etwas zu gestalten? Wie soll Dein persönliches Gütesiegel aussehen?

 

Und- vor allem: Was sind Deine Talente?

 

Erinnerst Du Dich noch daran, als Du ein süßer, kleiner Knubbel im Weltall warst? Nein? Ach, komm… bestimmt lebt diese Erinnerung nur sehr versteckt in Deinem Unbewussten…Also, das war nämlich so, damals:

Als Du gut vorbereitet mit all den anderen Seelen auf der „Himmlischen Sprungschanze“ standest, absprungbereit in ein neues Erdenleben, kam Dein ganz persönlicher Engel, hat seinen Flügel auf Deinen Rucksack gelegt und „schwuppdi-wuppdi“ war er aufgefüllt mit Talenten, Begabungen, Fähigkeiten als Grundausstattung, als Wegzehrung für Dein neues Leben. Und? Haste mal reingeschaut, in Deine bunt gefüllte Tasche? Weißt Du überhaupt, was da alles schönes drin ist?

 

Oder gibt es ein paar Talente von denen Du nichts wissen willst, die Du mit Verachtung strafst, weil Du ihren Wert nicht erkennst, weil Du den Anwendungsmöglichkeiten oder Dir selbst nicht vertraust? Du kannst Deinen Begabungs-Rucksack ignorieren. Wenn Du willst. Du kannst aber auch neugierig werden, die Tasche weit öffnen und alles zu einer ersten Ansicht herausholen, auf den „inneren Werkstatt-Tisch“ legen und in aller Ruhe die Teile beäugen, drehen und wenden, auf ihre Verwendbarkeit hin überprüfen. Das ist sehr aufregend.

 

Das macht richtig Spaß!

 

Das lehrt Dich, was tatsächlich Dein eigenes ist und wie das im Konkreten aussehen könnte, dieses Verbinden Deiner Innenwelt mit dem Außen, dieses verbindlich werden im Tun.

 

Das Üben, Begabungen anzuwenden heißt, sich zu bewegen, auszudehnen, zu wachsen, zu lernen. Lernen wiederum heißt Verdichten, Substanz bilden, ist Sterben und erneutes Werden in einem Prozess. Das ist sehr lebendig. Kann ich sehr weiterempfehlen!!

 

Was immer Du als gestaltende und somit weitergebende Kraft für Dich und andere kreieren willst:

Öffne Geist + Herz, Vertraue dem Umgang mit Dir selbst und spring einfach rein!

Akzeptiere Deine Vorurteile als Teil des menschlichen Selbstschutzsystems und lass Dich dennoch nicht davon abhalten, sie immer wieder erneut auf „Herz und Nieren“, also auf Richtigkeit hin zu überprüfen!

Bereite der Muse einen großen, w e i t e n Raum (…falls sie auf Rollschuhen kommt…)

Gib Dein Best-Mögliches, das zum Zeitpunkt der Gestaltung abrufbar ist. Neugierde, Freude, Leidenschaft, Schmerz, Verspieltheit und Freigibigkeit sind sehr hilfreiche Verbündete. Sie werden Dich dabei tatkräftig unterstützen!

 

Alles was aus Dir erwächst, hat zu tun mit Deinen Vorfahren, Deiner Biographie, Deinem Temperament, den Vorlieben und Abneigungen, entspringt aus dem immerwährenden Spannungsverhältnis von Du möchtest + Du sollst, Engel + Teufel, Eitelkeit + Bescheidenheit, Selbstsucht + Großzügigkeit.

 

Talent kann gnadenlos sein, unerbittlich einfordern, erkannt, gehört, gelebt, gefördert zu werden und bahnt sich, mal leise um die Ecke schleichend, mal laut und plötzlich als Paukenschlag, seinen Weg in’s Bewusstsein, in das Gesichtsfeld all derer, die mit Dir zu tun haben. Dann will Begabung atmen, pulsieren, leben und streben. Damit verbunden kommt der Wachstums-Schmerz, das hangeln, hadern, verhandeln „wie viel Freizeit darfst Du haben, wie viel Übungszeit musst Du haben?

 

Und Talent braucht Defizit: Abwesenheit, Schmerz, Vereinsamung, Mangelzustände an Zuwendung, Lob, Gemeinsamkeit. Und Verlustangst. Talent und Kälte kommen nicht selten Hand in Hand daher, denn je ausgeprägter die Begabung, desto mehr „Stoff zur Verwandlung“ braucht sie. Schließlich will sie, ihrer Veranlagung gemäß, Geschichten erzählen und nichts ist aufregender, als die Umwandlung von einsam zu integriert, traurig zu glücklich, kalt zu warm.

 

Und dafür gibt es einen Geburtshelfer, der immer als Wachstumspartner funktioniert. Leidensdruck!

 

Dieses Leid drückt, mal leise als still geweintes Flüstern, mal freigebrochen als schneidender Ur-Schmerz, seine kleinen, bunten Werdungs-Plättchen aus Geist, Seele, und Ur-Wunsch hinein in die wärmewallende Blutbahn, strömt sich als Kugelblitz in Deinen Kreislauf, taktet sich ein, in alle rhythmusgebenden Organe, wie Herz, Lunge, Nieren (Sitz der Seele, anthroposophisch betrachtet), Leber, verbindet sich mit Deinen Extremitäten von innen um über den Handlungs-(spiel)raum katapultiert zu werden, sichtbar in’s Außen. WOW. Da ist ja richtig was los.

 

So entsteht Dein Neues!

 

Und wer viel weiß, kann oder besitzt, hat auch viel Verantwortung, muss demnach also Antwort geben, auf die Vertrauensfrage: Was willst Du tun mit Deiner Begabung? Denn sie ist genau dies, ein Dir anvertrautes Geschenk, dass, zuerst einmal nur für Dich entdeckt Dein gutes Recht ist, es dann jedoch mit der Welt zu teilen, wertschätzend damit umzugehen, Deine Pflicht.

 

Denn selbst bei ähnlich stark ausgeprägter Begabung anderer, niemand sonst handhabt, zeigt auf, gestaltet, bringt ein, Deine Begabung, so wie Du es tust. Sie ist einmalig wie Du selbst. Und sie ist nur eine Leihgabe der göttlich/ kosmischen Instanz an den Menschen mit der liebevollen aber deutlichen Aufforderung, Deinen bestmöglichen Beitrag zu leisten um das Dunkel in Licht zu verwandeln, Stillstand in Bewegung, um unser aller Welt zu einem lebendigeren, schöneren, lebenswerteren Ort zu gestalten. Ob Schuhlöffel/ line, Türöffner/ in, Mätzen/ in, Du hast die fantastische Möglichkeit, Impulse zu verschenken, über Dich hinaus zu wachsen um mehr, weit mehr zu sein als die bloße Summe all Deiner Teile! Mit Herz und Verstand, mit Inbrunst und Liebe.

 

Teile! Und die Welt ist Dein.